Thüringer Holzbauexperiment

In der Thüringer Dorfregion Seltenrain entsteht ein neues Gesundheits-, Pflege- und Versorgungsnetzwerk. Dazu gehört auch das im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen entstehende Umbauprojekt Landzentrum, das unterschiedliche Holzbauten umfasst.

Text und Fotos : PASEL-K Architects

Gesundheitskiosk Kirchheiligen

Bei den Holzbauten handelt es sich um dezentrale Gesundheitskioske mit Bushaltestelle, die jeweils einen Treffpunkt und die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen bilden und zudem ein neues Mobilitätskonzept einbinden. Die ersten fünf Gesundheitskioske in den Gemeinden Blankenburg, Bruchstedt, Kirchheilingen, Urleben und Sundhausen werden aktuell durch Pasel-K Architects als Holzbauexperimente realisiert.

Im Mittelpunkt des Vorhabens stehen nicht nur die Dorfbewohner als Patienten, sondern auch als Bürger mit ihren Bedürfnissen nach Beratung, Austausch und Treffpunkten. Auftraggeber der Gesundheitskioske ist die Stiftung Landleben in Kooperation mit dem Landengel e.V., der auch Träger ist. Die Gemeinden stellen der Stiftung die Grundstücke der Bushaltestellen in Erbbaupacht zur Verfügung.

Ziel des Vorhabens ist es, die Attraktivität des Lebens auf dem Lande spürbar zu erhöhen und durch die Rückführung von Funktionen und Versorgungen vor Ort neue Perspektiven zu eröffnen und klimagerechte Mobilitäts- und Umbauprojekte anzustossen, die die Abwanderung verhindern.

Gesundheitskiosk Urleben

Gesundheitskioske als mehrfachcodierte Bushaltestelle

Das Konzept hat das Ziel, nicht nur Gesundheitsdienstleistungen anzubieten, sondern soziale Isolation zu vermeiden und die Pflege, Altenhilfe und das Wohlfahrtswesen in ländlichen Regionen beispielhaft zu ermöglichen. Mit Unterstützung der Stiftung Landleben wurde im Jahr 2017 dazu der Verein Landengel e.V. gegründet, der seit 2019 Hilfestellungen und regelmässige Sprechstunden in räumlichen Provisorien in den Gemeinden organisiert.

Um dieser neuen sozialen Infrastruktur als ein Leitsystem einer zukunftsfähigen Versorgung räumlich und gestalterisch ein Gesicht zu geben, wurde im Rahmen von öffentlichen Dorfgesprächen die Idee entwickelt, die zukünftigen Gesundheitskioske an den zentralen Bushaltestellen der Gemeinden anzudocken und die öffentliche Mobilitätsinfrastruktur damit zu verknüpfen, um auch Bewohner anderer Gemeinden am Angebot partizipieren zu lassen. Im Auftrag der IBA Thüringen erarbeitete daraufhin Pasel-K Architects aus Berlin ein Design-Manual, dass die maximal 25 qm grossen Kioske je Gemeinde als architektonische Familie begreift, die trotz unterschiedlicher Standorte ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Sie dienen jeweils als Beratungsraum genauso wie als zuschaltbaren Wartebereich für den Bus und haben eine Toilette integriert. Als hochwertige Holzkonstruktion mit erneuerbarer, autarker Strom- und Wärmeversorgung (Infrarotheizung) ausgeführt, wird die Bauweise je Standort und Gemeinde individuell erfolgen, um gleichzeitig neue Wege Thüringer Holzbaukulturen vorzustellen und zu vermitteln.

Gesundheitskiosk Blankenburg

Konstruktion, Klima, Nachhaltigkeit

Der experimentelle Charakter des Vorhabens dient der Entwicklung von prototypischen Bauten einerseits und der Entwicklung neuer kollaborativer Prozesse andererseits. Beidem kommt eine Modellrolle zu, die weit über die Region hinausstrahlt. Anhand der Gesundheitskioske wird so ein konkreter Beitrag zu einer neuen regionalen Baukultur generiert, der den ländlichen Raum als Chance begreift Neues zu schaffen und Innovation und zeitgenössische Gestaltung mit lokaler Tradition in Einklang bringt.

Auch hinsichtlich ihrer Konstruktion sind die Gesundheitskioske einzelne Modellvorhaben bezüglich unterschiedlicher Holzbauweisen. Es wurden traditionelle Holzständerkonstruktionen und Massivholzbauweisen geplant. Um beispielhaft die Möglichkeiten des Holzbaus abzubilden, wurde mit Dach-/ Wandaufbauten und Fassadenkonstruktionen geleichermaßen experimentiert. Ressourcensparendes Bauen und Zirkularität sind fest im Projekt verankerte Grundprämissen. So konnte das ‚fliegende‘ pinke Podium von MVRDV aus Rotterdam einer neuen Bestimmung am Landzentrum und an den Gesundheitskiosken zugeführt werden (2nd Life).

Klimaorientiert und ökologisch sind die Gesundheitskioske zum einen im Sinne ihrer Materialisierung als unbehandelte Holzbauten, als auch hinsichtlich ihrer weitreichenden Autarkie und der Versorgung mit Solarenergie, die auf den Dächern integriert und auch den Strom für die angeschlossene Elektromobilität für E-Bikes und E-Autos liefern wird. Die mit Holzwolle oder Einblaszellulose gedämmten Versuchsbauten sind aber insbesondere unter sozialen Aspekten nachhaltig, da sie im Prozess verschiedene lokale Akteure in die Umsetzung einbinden und so über das ‚architektonische Produkt‘ hinaus integrativ wirksam werden. Konkret bedeutet das: Die Gesundheitskioske (und auch das Landzentrum) wurden gemeinschaftlich gebaut.

Weitere Infos: pasel-k.com