Holzpavillons locken ins Calancatal

Die Idee, in den Wäldern des Dorfes Rossa im Calancatal (Graubünden) kleine Holzpavillons zu installieren, wurde bereits vor einigen Jahren geboren. Der erste Bau der Serie «ISpace» – erdacht und entwickelt von Architekt Davide Macullo – wurde im Herbst 2020 fertiggestellt. Im letzten Jahr folgten acht weitere Pavillons.

Text: Redaktion / Fotos: Corrado Griggi

Holzpavillon «Clessiramide» (Foto: Corrado Griggi)

 

Pavillons aus Lärchenholz

Realisiert wird das Projekt von Architekt Davide Macullo mit Unterstützung der Stiftung RossArte, der Gemeinde Rossa und des Schweizerischen Nationalparks Val Calanca – mit dem Ziel, das Bergdorf Rossa und das gesamte Calancatal aufzuwerten, um Abwanderung zu verhindern und das Gebiet für Touristen attraktiver zu machen. Die Kleinstarchitekturen (je rund 20 m2 gross) wurden von der Frei Holzbau AG in Kriessern (SG) aus unbehandeltem Lärchenholz gefertigt. Das Baumaterial wurde direkt vor Ort geschlagen.

 

 

Rückblick

In der Ausgabe FIRST 1.21 berichteten wir bereits über das Projekt (Text: Sandra Depner). Im Folgenden nochmals der Artikel…

 

HOLZKUNST IM CALANCATAL

Architekt Davide Macullo liebt seine Heimat: Rossa, ein kleines Dorf auf 1100 Metern Höhe im Calancatal. Aus diesem entlegenen Teil im italienischsprachigen Teil Graubündens stammen die Grosseltern des international bekannten Architekten. In seinem Atelier in Lugano werden preisgekrönte Bauwerke entworfen, die zum Beispiel in Albanien, Griechenland, Südkorea und China stehen. Und in der Schweiz – wie in Rossa.

Macullos Entwürfe hinterlassen ihre Spuren im Dorf: historische Kapellen aus dem 17. Jahrhundert, deren gemauerte Fassaden in knallfarbenen Mustern leuchten – entstanden in Zusammenarbeit mit dem britischen Künstler David Tremlett – oder das Swiss House in mittlerweile drei Varianten. Eines davon, das nicht minder farbenfrohe Swiss House XXXII, ist Macullos Wochenendhaus. Hierhin zieht er sich zurück und tüftelt, zeichnet, schmiedet Pläne für sein kleines Dorf Rossa. Vom Küchenfenster aus kann man auf das Dorf blicken, das im Februar einen schneeverhangenen Wald im Rücken hat. Und auf den Pavillon Sphere, eine Holzinstallation, die mitten im Wald nur bei genauem Hinsehen zu erkennen ist. Sie ist der neueste Beitrag aus Macullos Feder zur Dorfgestaltung.

ORT DER RUHE

Sphere steht auf einem Plateau, oberhalb eines Wanderwegs. Von hier aus blickt der Besucher auf das darunterliegende Rossa. 180 Lärchenbalken, miteinander über Eichendübel verbunden, formen Sphere zu einer Kugel. Der Zugang erfolgt durch die ovale Öffnung. Förster Orio Guscetti hat der Kugel eine rundliche, freie Stelle im Wald als Standort zugewiesen. Er war es auch, der das Fundament aus acht Einzelfundamenten erstellte, auf dem der Holzbau fixiert wird. Die verwendete Lärche wurde letzten Herbst im Forst der Gemeinde geschlagen und zugeschnitten. Für die Holzbauplanung und Montage zeichnete sich die Frei Holzbau AG aus dem St. Galler Rheintal verantwortlich.

Sepp Steiger, Inhaber und Geschäftsführer, wurde im Juni 2020 zum Projekt hinzugezogen und startete die Holzbauplanung. Er liess das gesägte Holz zu seiner Werkstatt in Kriessern liefern und dort die Hölzer auf das exakte Mass mit den entsprechenden Bohrungen zuschneiden. «Die Aufrichte ging dann sehr schnell», erinnert sich der Holzbauer. An einem Freitag im Oktober 2020 sei er mit ein paar seiner Zimmerleute, die sich zum freiwilligen Einsatz gemeldet hatten, nach Rossa gefahren. Tags darauf stand der Pavillon schon zur Mittagszeit – auch dank der tatkräftigen Hilfe engagierter Gemeindemitglieder.

«Sphere ist ein Ort der Ruhe. Hier erfährt man die Natur neu und zugleich anders», erklärt Macullo. Mit der Unterstützung der Stiftung RossArte, der Gemeinde Rossa und dem Schweizerischen Nationalparks Val Calanca sowie Freiwilliger hat Macullo das Projekt im Rahmen der zehnteiligen Serie ISpace in Angriff genommen. Sphere ist die erste fertiggestellte Installation, vier weitere Kunstwerke sind laut Macullo bereits vom Bürgermeister zum Bau freigegeben, die übrigen fünf warten noch auf ihre Finanzierung.

Schnee, Regen, Sonne – die Holzskulpturen sind mitten im Wald jeglicher Witterung ausgesetzt. Oder? «Ja, das ist so, wir haben keinen Witterungsschutz oder Ähnliches vorgesehen », sagt Steiger. «Die Objekte sind aus natürlich belassenem Holz, sie sind vergänglich. Wenn auch Lärche sehr witterungsbeständig ist, irgendwann wird das Holz verfaulen oder die Konstruktion in sich zusammenfallen. » Noch sieht man dem Pavillon nicht an, dass Kälte und Nässe an ihm zehren. Auch die Vergrauung des Lärchenholzes lässt noch auf sich warten.

Davide Macullo ist vernarrt in sein kleines Dorf. Das, wenn man ihn fragt, mit Graziano Zanardi den «besten Bürgermeister der Welt» hat. «Für das, was wir in Rossa machen, braucht es viele Unterstützer: Bürgermeister, Stadtplaner, Förster, die Kirchengemeinde. Ja, eigentlich braucht es alle, die hier in Rossa leben.» Das Ziel, das er und seine Mitstreiter vor Augen haben, ist bemerkenswert: Sie wollen durch Kunst und Architektur das Dorf, eigentlich das gesamte Calancatal, aufwerten und seine Identität als Arbeits- und Wohnort stärken sowie Touristen dazu einzuladen, die schöne Landschaft zu entdecken. Denn wenn es etwas im Calancatal gibt, dann ist es Natur – abschüssigen Hänge, dichte Wälder, Wasserfälle, ein Wildwasserfluss, hohe Bergketten und schmale Saumwege prägen den Parco Val Calanca.

Da könnte die hinterste Gemeinde im Tal fast in Vergessenheit geraten. Wenn nicht Architekt Macullo und seine Mitstreiter ihr Bestes täten, Rossa mit Kunst- und Architekturprojekten national wie auch international ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Nicht abwegig ist die Vorstellung, Rossa könnte das gleiche Schicksal ereilen wie schon andere Bergdörfer: Die Menschen könnten abwandern, es könnte aussterben. Aktuell zählt das Dorf wieder 160 Einwohner. 1980 waren es nur noch 51.

Damit Rossa nicht von der Landkarte verschwindet, setzen Macullo und Co. alles daran, das Wachstum in der Region zu fördern. Zu einem seiner wichtigsten Mitstreiter bei ISpace gehört Zimmermeister Sepp Steiger. Über die bald zwei Jahrzehnte gemeinsamer Projekte sind die Geschäftspartner Freunde geworden. Auch die Frei Holzbau AG hat sich in der Zeit gewandelt – von einer klassischen Zimmerei zu einem Holzbaubetrieb, der sich mehr und mehr komplexen Projekten widmet und die Herausforderung nicht scheut, sondern viel mehr sucht. «Die Frei Holzbau AG hat die Arbeit am ersten Pavillon gesponsert», sagt Steiger. Damit ein erstes Flämmchen für das Projekt angezündet werde und die anderen Installationen noch folgen mögen.

DANK ISPACE NATUR ERFAHREN

«Mit ISpace wollen wir zeigen, welche Wirkung ein Raum auf die Sinne und Gefühle des Menschen haben kann», sagt Macullo. Solche Räume schaffen die Kunstinstallationen von ISpace. Damit der Mensch in ihnen in den versteckten Ecken des Waldes abseits der üblichen Wege seine Verbindung zur Natur wiederentdecken kann. Bis Mai 2021 sollen die übrigen neun Skulpturen den Wanderweg säumen. Ein straffes Programm. Holzbauer Sepp Steiger ist bereit. Die CAD-Zeichnungen hat er bereits erstellt. In Kriessern wartet er eigentlich nur noch auf grünes Licht von seinem Freund Davide. «Ich brauche nur drei Wochen Vorlauf und die Installation steht im Wald», sagt Steiger. 

moesano.graubuenden.ch/de/rossarte


 

 

Davide Macullo Architects
Davide Macullo lebt und arbeitet in Lugano. Er studierte Kunst, Architektur und Innenarchitektur an verschiedenen Universitäten in der Schweiz und in Berkeley, Kalifornien (USA). Während 20 Jahren (1990–2010) war er Projektarchitekt im Atelier von Mario Botta und verantwortlich für über 200 internationale Projekte weltweit. Er eröffnete sein eigenes Atelier im Jahr 2000. Seine Arbeiten werden im In- und Ausland veröffentlicht und ausgezeichnet.
macullo.com